Bildung ist ein Privileg

Was wäre wohl aus Leonardo da Vinci geworden, wenn er 1470 nicht die Lehre beim Bildhauer und Maler Andrea del Verrocchio begonnen hätte? Wäre dieser geniale Kopf mit gerade mal 18 Jahren in der Lage gewesen, sich das Wissen um die Verkürzung der Gesichtslinien bei der "Taufe Christi" im Selbststudium anzueignen? Vielleicht. Er war schließlich ein Genie.

Am 11. Oktober 2017 eröffnet die Hochschule für Grafik und Kunst in Leipzig eine Ausstellung der Meisterschüler. Fabian Enders, u.a. Dirigent beim Thomanerchor und dem Bachfest in Leipzig verweist darauf, Meisterschüler bei Kurt Masur und Peter Schreier gewesen zu sein. Und für alle Freunde der Hermeneutischen Lehrmethode: Aristoteles war ein Meisterschüler von Platon.
Begeistern uns die Meisterschüler wegen ihren Leistungen in autonomen Lernphasen? Oder sind es doch eher die durch ihre Lehrer vermittelten Fertigkeiten, die uns in den Bann ziehen?

Fürsten, Könige und Kaiser wurden von Privatlehrern ausgebildet und hielten dies für ihre Kinder als unbedingte Notwendigkeit künftiger Herrschaft. Wissen und Verständnis wurde vermittelt, im reinsten Wortsinne; der Lehrer als Mittler zwischen dem künftigen Herrscher und der ihm umgebenden Natur. Es ist wenig bekannt, welches Salär diese Vermittler für ihre Dienste erhielten. Es wird jedoch nicht wenig an Gut und Geld gewesen sein.

Um das Jahr 1250 traten in Deutschland erste Stadtschulen auf, welche aus den Klosterschulen hervorgingen. Und hier zeigte sich wohl zum ersten Mal ein Problem, welches wir bis heute nicht gelöst haben: steigende Schülerzahlen bei immer weniger Meistern. Der Begriff "Klippschule" oder "Winkelschule" stammt aus dieser Zeit. Mit Erlaubnis des Magistrat durften auch gering gebildete Lehrer an diesen Einrichtungen tätig werden.

2015 befanden sich alleine in beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen der Agentur für Arbeit 305.823 Menschen.  Nach einer Studie des Deutschen Institutes für Erwachsenbildung gaben 65,9% der Anbieter von Weiterbildung an, dass es schwierig sei, Seminare mit geeigneten Dozenten zu besetzen.

Auf der Suche nach einer Lösung im Zeitalter von Lernen 4.0 kommt man jedoch nicht auf die Idee, die Anzahl der Meister zu erhöhen, selbst Meister auszubilden oder ausbilden zu lassen, von den alten erfolgreichen Herrschern lernen. Man entwickelt und präsentiert stolz einen neuen USP: "Nicht mehr das Bildungsziel [steht] im Fokus, sondern Reintegration." Brilliant. Die von der Bildung, aufgrund fehlender Meister, ausgeschlossenen Menschen und Gruppen werden durch Nicht-Bildung in das System wieder eingegliedert. Funktionieren soll dies, indem der Mensch seine vielleicht angeborenen Selbstlernkompetenzen aktiviert, selbstbestimmt Themen auswählt, das Internet als hilflose Quelle des menschlichen Wissens verwendet und in Begleitung eines fachunkundigen Mentors die Höhen der Wissenschaften erklimmt.

Erasmus von Rotterdam (Ende 15. Jhd.), dessen "Meisterschüler" i.w.S. Martin Luther gewesen ist, schrieb einmal: "Nichts ist naturgemäßer als Tugend und Bildung – ohne sie hört der Mensch auf, Mensch zu sein."  Wir setzen wohl heute die Schlusspunkte.

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